Salutogenese

Salutogenese und Kommunikation in der Begegnung mit Patienten

Gesundheit ist aber etwas anderes als „Nicht-Krankheit". Diese grundsätzliche Kritik am vorherrschenden medizinischen Denken steht am Anfang der Überlegungen von Dr. Eckhard Schiffer. Er bezieht sich dabei auf das Salutogenese-Modell von Aaron Antonovsky. Salutogenese, wörtlich übersetzt „Gesundheitsentstehung“, ist der Gegenbegriff zur Pathogenese, der „Krankheitsentstehung“.

Beide Modelle schließen sich nicht wechselseitig aus, sondern ergänzen einander. Krankheits- und gesundheitsbedeutsame Momente existieren in jedem Menschen nebeneinander. Das Salutogenese-Modell lässt Antworten auf die Fragen finden, warum manche Menschen eher krank werden und andere hingegen trotz Belastungen gesund bleiben, bzw. im Erkrankungsfall wieder schneller gesund werden. Hauptbegriff im  Salutogenese-Modell ist das Kohärenzgefühl. Es ist die Grundlage von körperlicher und psychosozialer Gesundheit.

Das Kohärenzgefühl kann als Fortentwicklung des kindlichen Urvertrauens in das Erwachsenenalter hinein verstanden werden. Das Konzept vom Kohärenzgefühl ist nicht auf einen Einzelkämpfer-Status abgestellt, sondern schließt menschliche Solidarität und Hilfe mit ein.

Wie können nun in der Arzt-Patienten- Beziehung gesundheitsbedeutsame Momente gefördert werden?     
Ein starkes Kohärenzgefühl ermöglicht eine Gelassenheit, an der krankmachende Stressfaktoren gewissermaßen abprallen. Das heißt z. B., dass unter Belastungen bei einem starken Kohärenzgefühl  durchschnittlich weniger Stresshormone wie das Adrenalin oder Cortisol  ausgeschüttet werden als bei einem schwachen Kohärenzgefühl. Auf Organsysteme wie z. B. auf das Immun-  und Herz-/Kreislaufsystem sowie die Hirnfunktionen hat das einen positiven Einfluss.

Umgekehrt weiß man aus der Säuglings- und Kleinkindforschung, dass schon im frühen Kindesalter der Cortisol-Spiegel überdurchschnittlich erhöht sein kann, indem das Angespanntsein von Bezugspersonen gewissermaßen auf die Kinder abfärbt. Deren gesundheitliche  Aussichten  können sich dadurch erheblich verschlechtern, sofern es nicht gelingt, das Kohärenzgefühl anderweitig zu fördern.

Ähnliches kann auch für die Arzt-Patientenbeziehung angenommen werden: Wenn der Arzt ständig unter Stress steht, infiziert seine Anspannung zusätzlich den Patienten. Umgekehrt kann in einer guten dialogischen   Begegnung zwischen Arzt und Patient - wie sie insbesondere von Michael Balint ausführlich beschrieben worden ist -  das Kohärenzgefühl gefördert werden. Daniel Stern spricht in diesem  Zusammenhang von einem Moment of meeting, d. h. einem Begegnungsmoment, dem ein starkes Veränderungspotential innewohnt.

In dem Vortrag ging es darum, nach konkreten  Beispielen Ausschau zu halten, durch die das Kohärenzgefühl in der Begegnung des Arztes  - ebenso auch der Vertreter anderer Heilberufe und der Pflegekräfte -  mit dem Patienten  gefördert werden kann.

Dr. Schiffer war bis 2009 über 30 Jahre Chefarzt der Abteilung für Psychosomatische Medizin mit Familientherapeutischem Zentrum am Christlichen Krankenhaus Quakenbrück. Er vertrat als einer der ersten Ärzte in Deutschland das Konzept der Salutogenese im klinischen Bereich.